Eine moderne, industrielle Lebensweise stellt besondere Herausforderungen an unsere Gesunderhaltung, wobei die Darmgesundheit besonderes Augenmerk verdient. In den ersten beiden Teilen dieser Blogreihe wurde die Ausbreitung von Zivilisationskrankheiten mit einem Rückgang an Vielfalt in unserem Mikrobiom in Verbindung gebracht (siehe Teil 1, Teil 2). Teil zwei befasste sich mit möglichen Ernährungsansätzen, die unser Mikrobiom unterstützen und damit die Ursache dieser Krankheiten beseitigen. So nutzt der Mensch seit tausenden von Jahren Ballaststoffe und fermentierte Lebensmittel, um seine Darmflora und damit sich selbst gesund zu erhalten.
Ballaststoffe stellen allerdings ein breites Feld dar. Unsere Darmbewohner können längst nicht mit allen Ballaststoffen etwas anfangen. Darum greift die Empfehlung, für eine gesunde Ernährung Ballaststoffe zu integrieren, oft zu kurz. Auch wir haben bisher den Begriff Ballaststoff verwendet, ohne ihn zu definieren und ohne zwischen verschiedenen Ballaststoffen zu unterschieden. Das holen wir in diesem Blogartikel nach.

Ballaststoffe - was ist das?
Ballaststoffe sind in faserigen Anteilen pflanzlicher Nahrung enthalten. Die Nahrung durchläuft zunächst vom Mund bis zum Dünndarm einen Verdauungsprozess, bei dem die Bestandteile unter Einwirkung von Enzymen zersetzt werden. Vollständig aufgeschlossene Spaltprodukte werden über die Darmwand vom Körper aufgenommen und weiterverarbeitet. Andere, unvollständig zerlegte, unverdaute Nahrungsbestandteile werden aus dem Dünndarm weitergeschoben und erreichen den Dickdarm. Diese Bestandteile werden als Ballaststoffe bezeichnet. Es gibt viele verschiedene Arten von Ballaststoffen. Bis auf wenige Ausnahmen werden die Ballaststoffe den Kohlenhydraten zugeordnet (1) .
Das mag überraschen, schließlich werden in Nährwertangaben Kohlenhydrate und Ballaststoffe gesondert aufgeführt. Mit der Position Kohlenhydrate ist in diesen Tabellen demnach der Kohlenhydratanteil gemeint, der kein Ballaststoff ist.
Einteilung der Ballaststoffe
In unseren ersten beiden Artikeln zum Mikrobiom stellten wir den großen Einfluss der Ballaststoffe auf unsere Darmflora und damit auf unsere Gesundheit dar. Nun geht es darum, wie sich die verschiedenen Ballaststoffe hinsichtlich ihrer Wirkung auf das Mikrobiom unterscheiden. Für eine erste Einteilung eignen sich die drei Kriterien Fermentierbarkeit, Löslichkeit und Quellfähigkeit (2).
Fermentierbarkeit
Das erste Kriterium gibt an, ob sich der Ballaststoff als Futter für die Darmbakterien eignet. Dabei werden die Ballaststoffe im Dickdarm unter Sauerstoffausschluss von den Bakterien aufgeschlossen und für ihre Energieversorgung genutzt. Einen solchen Prozess bezeichnet man als Fermentation. Wir beschränken uns hier auf Vorgänge in unserem Darm, wobei auch Fermentationsprozesse bei der Verarbeitung von Lebensmitteln in einem kommenden Blogbeitrag eine Rolle spielen werden. Sieht man den Hauptnutzen von Ballaststoffen darin, die Vielfalt und Funktion des Mikrobioms positiv zu beeinflussen, dann bietet die Fermentierbarkeit schon das wichtigste Unterscheidungsmerkmal (3).
Löslichkeit
Die Löslichkeit eines Ballaststoffs gibt an, ob und wie fein sich der Stoff in einer wässrigen Mischung verteilt (4). Ein löslicher Ballaststoff zerfällt bei Kontakt mit Wasser nicht in seine elementaren Bestandteile. Vielmehr verteilt er sich fein in der Flüssigkeit und formt so eine ideale Nährlösung für die Bakterien (5). Bei unlöslichen Ballaststoffen bleiben Nährstoffe für die Bakterien schwer zugänglich, so dass keine Fermentation beobachtet werden kann. Es liegt damit nahe, die Eigenschaften löslich und fermentierbar, unlöslich und nicht-fermentierbar einander gleichzusetzen (6). Auch wir betrachten hier nur Ballaststoffe, die entweder löslich/fermentierbar oder unlöslich/nicht-fermentierbar sind.
Im Einzelfall kann gerade die Frage nach der Löslichkeit Missverständnisse nach sich ziehen. Jeder, der schon einmal Flohsamenschalen in Wasser eingerührt hat, wird beobachten, dass sich nach allgemeinem Sprachgebrauch das Pulver auflöst und gelartig aufquellt. Trotzdem zählt der Hauptbestandteil der Flohsamenschalen, die Hemizellulose, zu den unlöslichen Ballaststoffen und wird von Bakterien nicht fermentiert (7).
Mit der Löslichkeit haben wir also ein gewichtiges Unterscheidungsmerkmal zur Hand, um Ballaststoffe zu identifizieren, die unserem Mikrobiom eine Lebensgrundlage bieten. Zu diesen löslichen/fermentierbaren Ballaststoffen gehören zum Beispiel Pektin, resistente Stärke, Inulin, fermentierbare Oligosaccharide und beta-Glukane. Dem stehen die unlöslichen/nicht-fermentierbaren Ballaststoffe gegenüber, die von unseren Bakterienfreunden nicht verstoffwechselt werden können. In diese Gruppe fallen die Rohfaseranteile (crude fiber) Zellulose, Hemizellulose (Flohsamenschalen) und Lignin. Zellulose nimmt hierbei eine herausragende Rolle ein. Sie ist der Baustoff pflanzlicher Zellwände und das am häufigsten vorkommende Biomolekül.
Nehmen wir die oben genannte Liste der verschiedenen löslichen Ballaststoffen, dann sollten wir damit doch brauchbare Anhaltspunkte für einen individuellen Ernährungsplan zur Hand haben. Werfen wir anschließend einen Blick in Nahrungsmitteltabellen, dann finden wir aber allenfalls eine Unterscheidung in lösliche und unlösliche Ballaststoffe. Betreibt man weitere Detektivarbeit und vergleicht einzelne Nahrungsmittel hinsichtlich ihrer Ballaststoffanteile, bringt das zum Teil erheblich voneinander abweichende Angaben zum Vorschein. Selbst wenn wir Proben aus unserem Einkaufskorb direkt analysieren könnten, würde auch das uns nicht weiterhelfen. Wir wären zwar mit einem enormen Wissensschatz über die mengenmäßige Verteilung einzelner Ballaststoffe jedes unserer Lebensmittel ausgestattet, was uns aber fehlt, ist ein genaues Bild unseres individuellen Mikrobioms. Damit uns ein bestimmter Ballaststoff einen gesundheitlichen Vorteil verschafft, müssen die dazu passenden Bakterienstämme in unserem Bauchraum vorhanden sein.
Dass eine individuelle, detaillierte Optimierung einer Ballaststoffversorgung unseres Mikrobioms derzeit nicht möglich ist, soll am Beispiel der resistenten Stärke verdeutlicht werden. Jüngste Forschungsergebnisse deuten an, dass der gesundheitliche Nutzen der resistenten Stärke individuell starken Schwankungen unterliegt. Bisher wurden zwei Bakterienstämme identifiziert, die am Anfang der Verwertungskette von resistenter Stärke stehen, Ruminococcus bromii and Bifidobacterium adolescentis (8). Vor allem die erste Bakterienart, R. bromii, reagierte auf eine erhöhte Zufuhr von resistenter Kartoffelstärke zwischen den Versuchsteilnehmern völlig unterschiedlich. Dabei erstreckten sich die Beobachtungen von einer Vermehrung dieses Bakterienstamms bis hin zum völligen Gleichbleiben seiner Populationsgröße (8). Es stellte sich heraus, dass der entscheidende Faktor ihr individuelles Mikrobiom war, das die Probanden am Anfang der Studie mit einbrachten. Das wird besonders durch den Zusammenhang von resistenter Stärkeaufnahme und der Abnahme von Bauch- und Unterhautfett unterstrichen. Eine Fettreduktion bei gesteigerter Zufuhr von resistenter Stärke zeigen die Menschen, deren Mikrobiom nur kleine Populationsgrößen der drei Bakterienstämme Ruminococcus torques, Eubacterium hallii and Eubacterium eligens beherbergt (8). Sind aber diese Bakterien in großer Zahl vorhanden, geht mit resistenter Stärke kein Abnehmeffekt einher.
Ein Ansatz für ein Maximum an Vielfalt
Nahrungsmitteltabellen helfen uns also nicht, einen Essensplan zu generieren, der auf eine quantitativ optimierte Ballaststoffversorgung ausgelegt ist. Mehr noch können solche Tabellen sogar zum Glücksspiel verleiten. Die Versuchung ist groß, Lieferanten vergleichsweise großer Mengen an löslichen Ballaststoffen vermehrt zu konsumieren und Nahrungsmittel mit kleineren Ballaststoffgehalten eher zu vernachlässigen. Das wäre aus Sicht des Mikrobioms ein Kardinalfehler, wie eine Aufsehen erregende Studie verdeutlicht. Verglichen wurden Testpersonen, die weniger als 10 verschiedene Arten pflanzlicher Lebensmittel pro Woche zu sich nahmen mit Personen, die auf mehr als 30 kamen. Wohl gemerkt, für die Forscher war die Anzahl der verschiedenen pflanzlichen Lebensmittelarten relevant, nicht etwa die Portionsgröße. Was schon bei anderen Studien anklang, wurde in dieser Studie bestätigt: vor allem die Anzahl verschiedener Arten pflanzlicher Lebensmittel trägt zu einem gesunden, vielfältigen Mikrobiom bei (9). Besonders die greifbare Marke von 30 verschiedenen pflanzlichen Quellen in der Woche entwickelte sich als das neue Ziel einer Mikrobiom gerechten Ernährungsweise. In der Praxis heißt das, man zählt die verschiedenen Arten von Obst, Gemüse, Getreide, Nüsse, Samen, sogar Gewürze. Auch unterschiedliche Farben darf man zählen. Isst man rote, gelbe, grüne Paprika in einer Woche, wächst die Strichliste bereits um 3 an (zoe.com). Wer hier kurz stutzt und meint, das kann nicht mehr nur durch Ballaststoffe allein erklärt werden, der hat recht. In der komplexen Welt des Mikrobioms spielen auch andere Stoffgruppen eine Rolle, wie zum Beispiel die unterstützende Wirkung der Pflanzenpolyphenole (10). Kurz, mit dem Ansatz "zählen statt wiegen" macht man einen Schritt in die richtige Richtung, sein Mikrobiom gut zu versorgen.
Quellfähigkeit
Der Vollständigkeit halber merken wir an, dass das dritte Kriterium zur Einteilung der Ballaststoffe, die Quellfähigkeit, für die Wechselwirkungen mit dem Mikrobiom eine untergeordnete Rolle spielt. Die Quellfähigkeit macht sich zunächst im Dünndarm bemerkbar und trägt hier signifikant zu einer gesunden Verdauung bei (11). Im Dickdarm helfen quellfähige Ballaststoffe, Wasser im Stuhl zurückzuhalten und den Stuhlgang zu erleichtern. Nicht-quellfähige, unlösliche Ballaststoffe führen eher zu einer Reizung der Darmwand, die einen Schutzmechanismus in Form von vermehrter Sekretion nach sich zieht (11).
Ausblick
Wir sind weiter eingestiegen in das, was unser Mikrobiom gesund erhält. Es wurde deutlich, dass gerade eine Ernährung mit einer großen Bandbreite an pflanzlichen Zutaten hilft, die Vielfalt der Darmflora auf das uns gegebene individuelle Maximum zu bringen. Doch manchmal reicht auch das noch nicht aus. Schließlich kann auch die bunteste Palette an gesunder pflanzlicher Kost keine ausgestorbenen Bakterien zurückholen. In weiteren Blogartikeln zu dem Thema Mikrobiom bleiben wir hartnäckig an der Frage dran, wie wir die Vielfalt noch über dieses Maximum hinweg steigern oder ungebetene Bakterienstämme unseres Mikrobioms reduzieren können.
Quellen
- Harald Carlsen, Anne-Maria Pajari. Dietary fiber – a scoping review for Nordic Nutrition Recommendations 2023. Food & Nutrition Research, 2023; 67 DOI: 10.29219/fnr.v67.9979
- Osama Ibrahim, Mirjana Menkovska. Dietary Fibers-Classification, Properties, Analysis and Function: A Review. Advances in Bioscience and Biotechnology, 2022; 13 (12) DOI: 10.4236/abb.2022.1312036
- Barbara Williams, Lucas Grant, Michael Gidley, Deirdre Mikkelsen. Gut Fermentation of Dietary Fibres: Physico-Chemistry of Plant Cell Walls and Implications for Health. International Journal of Molecular Sciences, 2017; 18 (10) DOI: 10.3390/ijms18102203
- Barbara A. Williams, Deirdre Mikkelsen, Bernadine M. Flanagan, Michael J. Gidley. “Dietary fibre”: moving beyond the “soluble/insoluble” classification for monogastric nutrition, with an emphasis on humans and pigs. Journal of Animal Science and Biotechnology, 2019; 10 (1) DOI: 10.1186/s40104-019-0350-9
- Zhi-Wei Guan, En-Ze Yu, Qiang Feng. Soluble Dietary Fiber, One of the Most Important Nutrients for the Gut Microbiota. Molecules, 2021; 26 (22) DOI: 10.3390/molecules26226802
- Devinder Dhingra, Mona Michael, Hradesh Rajput, R. T. Patil. Dietary fibre in foods: a review. Journal of Food Science and Technology, 2011; 49 (3) DOI: 10.1007/s13197-011-0365-5
- Johnson McRorie. Clinical Data Support that Psyllium Is Not Fermented in the Gut. American Journal of Gastroenterology, 2013; 108 (9) DOI: 10.1038/ajg.2013.211
- Peter DeMartino, Darrell W Cockburn. Resistant starch: impact on the gut microbiome and health. Current Opinion in Biotechnology, 2020; 61 DOI: 10.1016/j.copbio.2019.10.008
- Daniel McDonald, Embriette Hyde, Justine W. Debelius, et al. American Gut: an Open Platform for Citizen Science Microbiome Research. mSystems, 2018; 3 (3) DOI: 10.1128/msystems.00031-18
- Diana Plamada, Dan Cristian Vodnar. Polyphenols—Gut Microbiota Interrelationship: A Transition to a New Generation of Prebiotics. Nutrients, 2021; 14 (1) DOI: 10.3390/nu14010137
- Johnson W. McRorie, Nicola M. McKeown. Understanding the Physics of Functional Fibers in the Gastrointestinal Tract: An Evidence-Based Approach to Resolving Enduring Misconceptions about Insoluble and Soluble Fiber. Journal of the Academy of Nutrition and Dietetics, 2017; 117 (2) DOI: 10.1016/j.jand.2016.09.021
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