Das Mikrobiom - Teil 4 - Artgerechte Ernährung mit fermentierten Lebensmittel

Veröffentlicht am 7. Juli 2024 um 18:16

Der Zivilisationsprozess beginnt vor über 11.000 Jahren. In dieser Zeit musste der Mensch lernen, größere Gesellschaften in einem festen Siedlungsraum mit Ackerbau und Viehzucht zu versorgen. Erntezeiten liefern oft nur einmal im Jahr eine große Menge an Nahrung und Nährstoffen, so dass es für die Siedler lebensnotwendig wurde, ihre Ernte und daneben auch tierische Lebensmittel haltbar zu machen. Hier kommt dem Menschen eine einzigartige Zusammenarbeit zugute, die durch unser Zusammenleben mit ganzen Welten von Mikroorganismen möglich wird.

Mittels eines jahrmillionen dauerden Evolutionsprozess passten sich die Urahnen des Menschen an ihre mikrobiologische Umgebung an. Wohl eher zufällig kamen sie so mit verschiedenen, fermentierten Lebensmitteln in Kontakt und nutzen sie für ihr Überleben. Bemerkenswert ist, dass der Mensch schon vor tausenden von Jahren die Kunst der Fermentierung entwickelte. Bewusst und gezielt wendet er seit dieser Zeit solche Verfahren an, um die Haltbarkeit, Bekömmlichkeit und Sicherheit der Lebensmittel zu verbessern.

In dem letzten Artikel (Teil 3) über das Mikrobiom erfuhren wir, dass sich die winzigen Helfer in unserem eigenen Darm vor allem über die Fermentierung von Ballaststoffen mit Energie versorgen. Nun wechseln wir den Schauplatz, verlassen unseren Körper und geben Bühne frei für mikroskopische Akteure, die ihre Fermentierungskunst schon bei der Zubereitung von rohen Lebensmitteln unter Beweis stellen. Wenn nicht anders darauf hingewiesen wird, meinen wir mit Fermentierung hier den Stoffwechselvorgang der Mikroorganismen außerhalb unseres Körpers.

In der Regel sind die Mikroorganismen, die bei der Fermentierung von Lebensmitteln eine Rolle spielen, in unserem Mikrobiom nicht heimisch. Werden lebende Vertreter dieser Gattungen dem Mikrobiom beigegeben, so wirkt sich das trotzdem positiv auf die Gesundheit aus. Selten können sich die Neuankömmlinge aber länger als ein paar Tage gegen die etablierten, heimischen Mikroorganismen behaupten und sind nach dieser Zeit vollständig verschwunden (1). Für einen dauerhaften Effekt müssen also die entsprechenden Mikroorganismen dem Mikrobiom in regelmäßigen Abständen zugeführt werden. Die einfachste Methode hierfür ist, sich täglich mit fermentierten Lebensmitteln zu versorgen.

Damit die über die Nahrung aufgenommenen Mikroorganismen unser Mikrobiom erreichen und bereichern, müssen sie den vorgeschalteten Verdauungsprozess überleben. Es zeigt sich, dass viele der an der Lebensmittelfermentation beteiligten Mikroorganismen, genau diese Fähigkeit besitzen. Im Dickdarm angekommen, bilden sie dann ein sogenanntes flüchtiges Mikrobiom. Ohne die Möglichkeit, sich einen dauerhaften Nischenplatz zu erkämpfen, werden diese Durchreisenden weitergeschoben (1) und zusammen mit dem Stuhl ausgeschieden.

Während ihrer Verweilzeit haben sie viele gesundheitlich positiven Aufgaben übernommen. Im Wettbewerb mit heimischen Kolonien können sie sich zwar nicht behaupten, jedoch sind die Durchreisenden durchaus in der Lage, sich gegenüber Krankheitserregern durchzusetzen und diese zurückzudrängen. Darüber hinaus produzieren sie wichtige kurzkettige Fettsäuren und antimikrobielle Wirkstoffe, sie tragen zum Gleichgewicht der Immunreaktionen bei und liefern wichtige Vitamine (1). Ihr positiver Einfluss auf unsere Gesundheit unterstreicht die enge Verwandschaft dieser flüchtigen Besucher mit den Arten unserer heimischen Flora.

Lebende Bakterienkulturen in unseren Lebensmitteln

Obwohl bekannt ist, dass fermentierte Lebensmittel die Vielfalt des Mikrobioms bereichern, herrscht doch große Unklarheit darüber, wie viel lebende Mikroorganismen diese Lebensmittel überhaupt enthalten (1). Diese Frage stellt man sich besonders bei Fertig- bzw. Supermarktwaren, zumal die Verarbeitungsschritte und Lagerzeiten in der Regel nicht bekannt sind. Die Verpackungsetiketten helfen meist wenig, schließlich sucht man sogar bei dem fermentierten Milchprodukt schlechthin, dem Joghurt, vergeblich nach Hinweisen auf die enthaltenen lebenden Bakterienkulturen. Umsomehr überrascht es, dass selbst in alltäglichen Produkten zum Teil erhebliche Mengen an lebenden Mikroorganismen gefunden werden.

Um ein Gefühl für die Größenordnung der gemessenen Lebendpopulationen in Lebensmitteln zu entwickeln, kann eine Empfehlung von 2015 hilfreich sein. In dieser Studie wird für einen nennenswerten Effekt auf unser Mikrobiom und unsere Gesundheit eine Anzahl von 10^10 Bakterien angegeben (2). Gemäß einer Richtlinie der European Food Safety Authority sollte die Starterkultur bei Joghurt 10^8 Bakterien pro Gramm enthalten. Eine Portion von 100g Joghurt versorgt uns in dem Fall schon mit der empfohlenen Tagesration an Milchsäurebakterien. So erfreulich das Vorhandensein von lebenden Bakterien in Produkten der Lebensmittelindustrie ist, so schwankend sind ihre gemessenen Mengen. Und die variieren bei unserem Paradebeispiel, dem Joghurt, ganz erheblich von 10^1 bis 10^10, d.h. über 9 Größenordnungen hinweg! Wesentlich stabiliere Meßwerte ergeben sich bei Kimchi, eine traditionelle koreanische Beilage aus fermentiertem Chinakohl und Rettich. Hier schwanken die Werte nur über 2 Größenordnungen, während sich der Durchschnittswert bei 10^8 Bakterien einpendelt (1). Im Vergleich führen 100g Kimchi damit sehr viel verlässlicher auf die empfohlene Tagesdosis an Bakterien als beim Joghurt. Wohl gemerkt, wir rechnen hier mit Größenordnungen. Sollten wir innerhalb der Schwankungsbreite einen Kimchi erwischen, der nur 10^7 Bakterien enthält, dann verzehnfacht sich die Menge, die wir für die Einhaltung der Empfehlung bräuchten, also 1kg Kimchi am Tag. Das klingt dann nicht mehr nach einer äußerst leckeren Beilage, sondern nach einer echten Herausforderung.

Zum Glück hat der Mensch während seiner jahrtausend langen Fermentationsgeschichte eine enorme Vielfalt an veschiedenen Köstlichkeiten hervorgebracht. Man muss also nicht befürchten, dass eine Versorgung mit einer ausreichend gesunden Bakterienmenge einseitig wird. Dabei lohnt sich der Blick besonders auf traditionelle fermentierte Lebensmittel aus Ländern der ganzen Welt.

Eine Liste würde schnell ein ganzes Buch füllen und sprengt den Rahmen dieses Artikels. Bei Untersuchungen von fermentierten Fertigerzeugnissen sorgte eine grobe Unterteilung in neun Rohstoffgruppen für einen ersten Überblick:

  • Joghurt und andere fermentierte Milchprodukte,
  • Käse,
  • fermentiertes Fleisch,
  • fermentiertes Gemüse,
  • fermentierte asiatische Produkte,
  • fermentiertes Getreide,
  • spezielle Biersorten,
  • fermentierter Tee (Kombucha).

In all diesen Gruppen fanden die Forscher viele Produkte mit einem signifikanten Gehalt an lebenden Bakterien. Der Durchschnitt der Bakterienanzahl mit 10^6 Individuen pro Gramm ist jedoch etwas zu gering, um deutliche gesundheitliche Effekte zu erwirken. Um also nicht gezwungen zu sein, 10kg fertig Fermentiertes täglich auf den Tisch zu packen, kann man dazu übergehen, auch selber diese traditionelle Verarbeitungsmethode anzuwenden. Mit wenigen Utensilien, Zutaten und etwas Geduld hat man dabei die Bakterienzahl selber in der Hand.

Fermentationsprozess

Bei Lebensmitteln ist die Milchsäurefermentation weitaus die wichtigste Fermentationsart. Dabei werden traditionell zur Fermentation Bakterienstämme verwendet, die auf ganz natürliche Weise auf pflanzlichen Rohzutaten vorkommen (3). Diese Milchsäurebakterien (LAB, lactic acid bacteria) finden sich auf allen Pflanzenteilen und in Wurzel nahen Bodenbereichen. Auch im Pflanzenkörper selbst wurden schon Vertreter dieser wichtigen Bakteriengruppe nachgewiesen (4). Die Pflanzen und Bakterien stehen über eine enorme Liste an Wechselwirkungen in Verbindung. Dabei erzeugen die Pflanzen selektiv mit ihren Stoffwechselprodukten eine günstige Umgebung für die vorteilhaften Bakterienstämme (4). Nutzt man ausschließlich die auf den Pflanzen selbst beheimateten Bakterien zur Fermentation, dann wird das als spontane Fermentation bezeichnet.

Aber auch bei Milch und Fleisch ist die Milchsäurefermentation die bevorzugte Methode (3). Die Fermentation läuft bei diesen Ausgangsstoffen nicht spontan ab. Es müssen meist Bakterienkulturen, die sogenannten Starterkulturen, gezielt dazugegeben werden.

Während der Fermentation nehmen die Milchsäurebakterien Kohlenhydrate aus den Rohzutaten auf und setzen diese zu organischen Säuren, meist der Milchsäure, um. Während sich die Bakterien in der sauren Umgebung wohl fühlen, stellt der Säuregehalt für andere Mikroorganismen ein Problem dar. Krankheitserreger können in dieser Umgebung nicht überleben. Das ist der Mechanismus, den die Menschen beim Haltbarmachen ihrer Lebensmittel ausnutzen. Die Säure verhindert also, dass das Lebensmittel vergammelt oder verschimmelt (4).

Die Methode der spontanen Fermentation
Bei der spontanen Fermentation werden die Rohzutaten in Salzwasser eingelegt und unter Luftabschluss gelagert. Das Salzwasser dient dazu, über einen Konzentrationsausgleich Flüssigkeit und Nährstoffe aus den Rohzutaten herauszulösen. So wird für die Bakterien eine günstige Umgebung geschaffen, in der sie sich schnell vermehren können. Ein entscheidender Faktor bei der spontanen Fermentation, ist die Salzkonzentration der umgebenden Flüssigkeit (5). Sie bestimmt nicht nur die Wachstumsrate der vorhandenen Bakterien, sondern auch den Geschmack und die Konsistenz des fertig fermentierten Lebensmittel. Die Konzentration lässt sich gut mittels einer Prozentzahl angeben, wobei ein Salzgehalt von 1% einer Lösung von 10g Salz in 1kg Wasser entspricht (1%=0,01kg=10g). Besonders bei dem allseits bekannten Sauerkraut ist der Einfluss des Salzgehalts gut untersucht. In einer Versuchsreihe wurde Chinakohl in Wasser mit 4 verschiedenen Salzkonzentrationen (0.5%, 1.5%, 2.5%, 3.5%) eingelegt. Sowohl die Anzahl der probiotisch wirkenden Bakterien als auch deren Verhältnis zu potentiellen Krankheitskeimen erreicht bei einer 2,5%igen Lösung Maximalwerte. Die Menge der gesundheitsförderlichen Bakterien steigt hier von anfangs 10^6 bis auf 10^10 (Tag 17), um dann wieder auf 10^8 (Tag 30) abzufallen. Mögliche Krankheitserreger sind am Ende der Fermentierzeit (Tag 30) vollständig verschwunden (5). Obwohl der Maximalwert der gesundheitsförderlichen Bakterien dann schon überschritten ist, kommt man mit 100g Sauerkraut immer noch auf die empfohlene Tagesdosis.

Ausblick
Die Fermentation von Milch wirkt sich aus gesundheitlicher Sicht ebenfalls vorteilhaft auf unsere Lebensmittel aus. Mittlerweile gilt es als gesichert, dass Kuhmilch neben Übergewicht und Diabetes Typ 2 auch ein vermehrtes Auftreten einiger Krebsarten, z.B. Prostatakrebs oder Brustkrebs, begünstigt. Bei fermentierten Milchprodukten (Joghurt, Käse) hingegen werden die krebsauslösenden Mechanismen gehemmt bzw. abgeschwächt (6). Die Wichtigkeit von Milch und Milcherzeugnissen als tägliche Grundnahrungsmittel gibt uns Anlass, den nächsten Blogartikel dem Thema Milch zu widmen. Bis dahin schauen wir bei jedem Einkauf gebannt auf die Gemüsetheke. Hier tümmeln sich abermillionen Mikroorganismen, bereit dazu, mit ihren Fermentierungskünsten unserer Gesundheit Gutes zu tun.

Quellen

  1. Shannon Rezac, Car Reen Kok, Melanie Heermann, Robert Hutkins. Fermented Foods as a Dietary Source of Live Organisms. Frontiers in Microbiology, 2018; 9 DOI: 10.3389/fmicb.2018.01785
  2. Muriel Derrien, Johan E.T. van Hylckama Vlieg. Fate, activity, and impact of ingested bacteria within the human gut microbiota. Trends in Microbiology, 2015; 23 (6) DOI: 10.1016/j.tim.2015.03.002
  3. Natasha K. Leeuwendaal, Catherine Stanton, Paul W. O’Toole, Tom P. Beresford. Fermented Foods, Health and the Gut Microbiome. Nutrients, 2022; 14 (7) DOI: 10.3390/nu14071527
  4. John R. Lamont, Olivia Wilkins, Margaret Bywater-Ekegärd, Donald L. Smith. From yogurt to yield: Potential applications of lactic acid bacteria in plant production. Soil Biology and Biochemistry, 2017; 111 DOI: 10.1016/j.soilbio.2017.03.015
  5. X. Yang, W. Hu, Z. Xiu, A. Jiang, X. Yang, G. Saren, Y. Ji, Y. Guan, K. Feng. Effect of salt concentration on microbial communities, physicochemical properties and metabolite profile during spontaneous fermentation of Chinese northeast sauerkraut. Journal of Applied Microbiology, 2020; 129 (6) DOI: 10.1111/jam.14786
  6. Bodo C. Melnik. Lifetime Impact of Cow’s Milk on Overactivation of mTORC1: From Fetal to Childhood Overgrowth, Acne, Diabetes, Cancers, and Neurodegeneration. Biomolecules, 2021; 11 (3) DOI: 10.3390/biom11030404

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